Dyskalkulie wirksam fördern: Einblicke aus der Lerntherapie
Ein Gastbeitrag von: Andrea Hasler
Dyskalkulie oder Rechenschwäche ist für viele Familien, aber auch für Therapeuten und Lehrkräfte ein herausforderndes Thema. Oft herrscht Unsicherheit: Wie kann ich betroffenen Kindern helfen? Reicht mehr Üben, zusätzliche Arbeitsblätter oder ein Ferienkurs?
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Die Erfahrung zeigt: Nein. Entscheidend ist nicht allein der Inhalt der Förderung rund um Dyskalkulie, sondern vor allem die Art und Weise, wie sie erfolgt. Kinder brauchen Beziehung, Vertrauen und Materialien, die sie handelnd einsetzen können.
Manchmal sind es auch ganz kleine, ungewöhnliche Helfer, die einen großen Unterschied machen. Wie z. B. Hasi, (m)ein Stofftier. Hasi macht Kindern den Zugang zur Mathematik erstaunlich leicht und vermittelt ihnen zugleich Sicherheit.
In diesem Gastbeitrag erhalten Sie Einblicke aus der Lerntherapie und erfahren, wie Sie Kinder mit Rechenschwäche und Rechenstörung mithilfe einer gemeinsamen, vertrauensvollen Basis und handlungsorientiertem Lernen nachhaltig fördern. Praxisbeispiele mit Hasi inklusive.
Inhalt
1. Warum das „Wie“ entscheidend ist – Grundlagen der Lerntherapie bei Rechenstörung und Rechenschwäche
1.1 Beziehung als Fundament in der Lerntherapie
1.2 Haltung schlägt Fachwissen – lerntherapeutische Prinzipien
2. Die drei Säulen wirksamer Förderung bei Dyskalkulie und Rechenschwäche
2.1 Zahl und Mengenverständnis gezielt aufbauen
2.2 Operationsverständnis entwickeln
2.3 Beziehung und Haltung im Förderprozess leben
3. Materialien, die bei Rechenschwäche und Dyskalkulie wirklich weiterhelfen
3.1 Materialien als Beweiskoffer – Mathematik sichtbar und greifbar machen
3.2 Hasis Karottenscheiben und andere Beweismaterialien
3.3 Vom Tun zum Verstehen – das EIS-Prinzip im Beweiskoffer
4. Mindset als Schlüssel für nachhaltige Förderung
4.1 Wenn Mathe zur Herausforderung wird – Lernblockaden verstehen
4.2 Die Kraft des Growth Mindsets in der Dyskalkulie- und Rechenschwäche-Therapie
5. Fazit: Mehr als Nachhilfe – ganzheitliche Förderung bei Rechenstörung und Rechenschwäche
Hinweis zur Begrifflichkeit – zur besseren Orientierung
Dyskalkulie (medizinisch: Rechenstörung) bezeichnet eine diagnostizierte Teilleistungsstörung. Rechenschwäche meint allgemeinere Schwierigkeiten im Umgang mit Mathematik. Beide Formen können in der Lerntherapie wirksam unterstützt werden.
Beziehung als Fundament in der Lerntherapie
Rechenschwäche ist nie nur ein fachliches Problem. Sie ist immer in ein soziales und emotionales Umfeld eingebettet. Eine wirksame Förderung beginnt dort, wo ein Kind sich sicher und verstanden fühlt, ob in der Lerntherapie, in der Familie oder in der Schule. Ohne diese Grundlage ist nachhaltiges Lernen kaum möglich.
Kinder lernen am besten, wenn sie sich wohlfühlen. Ist das nicht der Fall, sind Gedanken und Gefühle oft blockiert. Vertrauen, Wertschätzung und eine ermutigende Haltung sind daher die Basis jeder Förderung.
→ Viele Kinder erklären Hasi z. B. ihre Rechenwege viel freier, können sich ganz auf das Erklären konzentrieren, ohne Angst, bewertet zu werden. Sie identifizieren sich mit Hasi, probieren aus, denken laut, prüfen ihre Lösungen und machen so wertvolle Schritte im eigenen Verständnis sichtbar.
Haltung schlägt Fachwissen – lerntherapeutische Prinzipien
Viele Eltern fragen: „Ich war selbst nie gut in Mathe, wie soll ich meinem Kind helfen?“ Die gute Nachricht: Es kommt weniger auf Fachwissen an als auf Haltung. Kinder brauchen Erwachsene, die sie begleiten, ermutigen und neugierig mit ihnen auf Entdeckungsreise gehen. Auch wenn Mathematik früher schwer war, können Sie Ihrem Kind ein starker Lernpartner sein. Entscheidend ist die Botschaft: Fehler gehören dazu, jeder Schritt ist ein Fortschritt.
Die drei Säulen wirksamer Förderung bei Dyskalkulie und Rechenschwäche
Kinder, die Mathematik lange als schwierig erlebt haben, brauchen ein stabiles Fundament, das Herz und Kopf gleichermaßen stärkt. Lerntherapie bedeutet weit mehr als Nachhilfe! Darum arbeite ich mit drei zentralen Säulen, die den Weg zu echtem Verständnis und Freude am Rechnen eröffnen.
Zahl und Mengenverständnis gezielt aufbauen
Mathematik beginnt mit dem Begreifen von Mengen, Strukturen und Zahlen. Kinder, die Mengen handelnd erleben, bauen sich innere Bilder auf, die langfristig im Gedächtnis bleiben. Besonders wertvoll ist es, wenn sie dabei durch offene Fragestellungen zum Entdecken angeregt werden. So entstehen Lernerfahrungen, die weit über das reine Ausfüllen und Bearbeiten von streng vorgegebenen Arbeitsblättern hinausgehen.
Praxisbeispiel: „Detektiv Hasi erforscht die Sieben“
Mein Stofftier Hasi lädt Kinder ein, z. B. die Menge sieben zu zerlegen. Mit Steckwürfeln probieren sie, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt. Jedes ihrer Ergebnisse schreiben oder zeichnen sie auf. So entdecken Kinder Strukturen selbstständig und erleben echte Aha-Momente.
→ Durch Hasi erleben Kinder Mathematik spielerisch: Sie erklären ihm, wie viele Würfel sie gelegt haben, prüfen gemeinsam mit Hasi Lösungen und reflektieren ihr Denken. So wird Hasi Teil ihrer Lernstrategie.
Operationsverständnis entwickeln
Viele Kinder mit Dyskalkulie können Ergebnisse aufsagen, ohne die Aufgaben wirklich zu verstehen. In der Lerntherapie geht es darum, Rechenwege handelnd nachzuvollziehen, zu erklären und mit Material oder Bildern zu beweisen.
Rechenoperationen sind Handlungsaufträge, keine abstrakten Formeln. Die folgenden Beispiele sind nur eine von mehreren Möglichkeiten, wie Rechenoperationen verstanden werden können.
- Addition bedeutet Mengen zusammenfügen, etwa drei Äpfel und vier weitere ergeben sieben.
- Subtraktion heißt wegnehmen oder vergleichen, von fünf Bonbons werden drei aufgegessen.
- Multiplikation ist wiederholtes Hinzufügen gleicher Mengen, etwa vier Kinder mit jeweils drei Keksen.
- Division bedeutet aufteilen, 24 Muffins gerecht an sechs Kinder verteilen.
Ein weiterer Schlüssel liegt in der Sprache. Kinder müssen nicht nur rechnen, sondern auch über Mathematik sprechen. Wer Rechenwege in Worte fasst, macht sein Denken sichtbar und entwickelt ein tieferes Verständnis. Deshalb sollte Matheförderung immer auch Sprachförderung sein, durch erklären, erzählen und begründen.
Praxisbeispiel: „8 plus 7 lösen und beweisen“
Mit Steckwürfeln oder Plättchen schieben Kinder z. B. zwei Würfel zur Acht, erhalten die Zehn und ergänzen dann die restlichen fünf. Danach zeichnen sie den Weg und erklären ihn. So werden Handlung, Bild und Sprache miteinander verknüpft. In meiner Praxis nutze ich dafür eine besonders einfache Handlungsdarstellung, mit der Kinder durch nur eine Mengenverschiebung das Teilschrittverfahren verstehen und sehen können.
→ Hasi hört dabei zu, stellt Fragen und lässt die Kinder ihre Rechenwege erklären. Dies gibt mir als Therapeutin wertvolle Einblicke, ob das Kind den Rechenweg wirklich verstanden hat.
Beziehung und Haltung im Förderprozess leben
Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen zutrauen, dass sie lernen können, auch wenn es schwerfällt. Wirksame Förderung gelingt, wenn Eltern, Lehrkräfte, Therapeuten und weitere Bezugspersonen zusammenwirken.
- Eine wohlwollende Haltung ist entscheidend.
- Kinder wachsen, wenn Erwachsene an sie glauben.
- Gemeinsame Erfolge motivieren stärker als Einzelkämpfe.
- Mathe darf leicht, spielerisch und humorvoll sein.
Praxisbeispiel: „Hasis Detektiv Club“
Eine Aufgabe wird nicht einfach auf ein Arbeitsblatt geschrieben, sondern z. B. als geheime Botschaft verpackt. Hasi überbringt sie mit Spannung und kleinen Ritualen. Auf diese Weise entsteht Motivation fast von selbst.
→ Hasi nimmt den Druck aus der Situation und schenkt Leichtigkeit. So entdecken Kinder, dass Mathematik auch spannend sein kann und gehen motiviert an Aufgaben ran.
Materialien, die bei Rechenschwäche und Dyskalkulie wirklich weiterhelfen
Materialien als Beweiskoffer – Mathematik sichtbar und greifbar machen
Materialien sind in der Lerntherapie keine Notlösung, sondern unverzichtbare Werkzeuge. Kinder brauchen Dinge, die sie anfassen, bewegen und ausprobieren können. Nur so wird Mathematik wirklich be-greifbar. Dafür nutze ich meinen Beweiskoffer, vollgepackt mit nützlichen Materialien. Auch die Kinder bekommen einen eigenen Koffer, den wir gemeinsam nach und nach ausstatten. So wird er Schritt für Schritt zu ihrem persönlichen Werkzeugkasten.
Hasis Karottenscheiben und andere Beweismaterialien
Besonders beliebt sind Hasis Karottenscheiben (das sind Unterlegscheiben oder Wendeplättchen). Sie eignen sich perfekt, um Mengen zu legen, zu untersuchen und die Rechenoperationen zu beweisen. Natürlich gibt es viele weitere Materialien, die in den Beweiskoffer passen, je nach Bedarf des Kindes.
Hier eine kleine Auswahl:
- Unterlegscheiben/Wendeplättchen („Karottenscheiben“)
- Steckwürfel
- Zehnersystemmaterial (Würfel, Stäbe, Platten)
- Strukturbilder zum Erkennen von Mustern und Zahlbeziehungen
- und noch vieles mehr
So wird Mathematik zu einer Art Detektivarbeit: Jedes Material liefert einen Beweis dafür, wie Zahlen und Operationen funktionieren. Lernwerkzeuge machen Mathematik greifbar und sind unverzichtbar für ein stabiles Zahl- und Operationsverständnis.
Vom Tun zum Verstehen – das EIS-Prinzip im Beweiskoffer
Damit Kinder Mathematik nicht nur auswendig lernen, sondern wirklich verstehen, arbeiten wir mit dem EIS-Prinzip:
- Enaktiv: Die Kinder handeln mit Hasis Karottenscheiben oder anderem Beweismaterial.
- Ikonisch: Sie malen auf, was sie gelegt haben.
- Symbolisch: Sie schreiben die Rechnung in Zahlen.
Praxisbeispiel: „13 Karottenscheiben aufteilen – Division mit Rest nach dem EIS-Prinzip“
Enaktiv: Das Kind hat 13 Karottenscheiben und legt sie in Schachteln mit je 4 Plätzen. Drei Schachteln sind voll, 1 Karottenscheibe bleibt übrig.
Ikonisch: Das Kind malt 13 Scheiben als Kreise und zeichnet Schachteln drum herum.
Symbolisch: Jetzt folgt die Zahlendarstellung: 13 : 4 = 3 Rest 1. Dabei begleitet das Kind die Rechnung auch sprachlich.
→ Hasi stellt dabei immer wieder nützliche Fragen, um die Kinder zu animieren, selbst weiterzudenken, mögliche Lösungen auszuprobieren oder sanft Hinweise zu geben, wenn sie nicht weiterkommen.
Mindset als Schlüssel für nachhaltige Förderung
Wenn Mathe zur Herausforderung wird – Lernblockaden verstehen
Viele Kinder sagen: „Ich kann das nicht“ oder „Ich bin schlecht in Mathe“. Solche Sätze zeigen, wie sehr das Selbstvertrauen leidet. Lernblockaden entstehen oft, wenn Kinder wiederholt negative Erfahrungen mit Mathematik machen. Sie glauben, dass sie Aufgaben nicht lösen können, trauen sich weniger zu und vermeiden Herausforderungen. Genau hier setzt das Growth Mindset an: Die Überzeugung, dass man lernen kann, auch wenn es schwer ist, hilft, diese Blockaden zu überwinden.
Die Kraft des Growth Mindsets in der Dyskalkulie- und Rechenschwäche-Therapie
Das Growth Mindset zeigt Kindern, dass ihre Fähigkeiten nicht festgelegt sind, sondern sich durch Übung, Ausprobieren und Ausdauer entwickeln können. Es hilft ihnen, Herausforderungen als Chancen zu sehen und Rückschläge nicht als Misserfolg, sondern als Teil des Lernprozesses zu verstehen.
Es geht darum, den Weg zu loben, nicht nur das Ergebnis. Jedes selbstständige Rechnen, jeder Versuch und jedes Dranbleiben sind Erfolge. Kinder mit negativen Lernerfahrungen brauchen diese Bestätigung.
→ Hasi macht auch Fehler, und genau das ist wichtig. Die Kinder sehen, dass Fehler dazugehören, und können Hasi dabei helfen, Lösungen zu finden. Sie erklären ihm Rechenwege, geben Tipps und loben ihn, wenn er Fortschritte macht. So erleben die Kinder, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, dass Ausprobieren und Unterstützen wertvoll sind und dass Fehler normal sind.
Hasi ist hier mehr als ein Stofftier! Er schafft Vertrauen, nimmt Ängste und macht Mathe zu einem Abenteuer. Für viele Kinder ist er ein kleiner Freund, der Motivation schenkt und Hoffnung gibt.
Fazit: Mehr als Nachhilfe – ganzheitliche Förderung bei Rechenstörung und Rechenschwäche
Förderung bei Rechenschwäche bedeutet weit mehr als Üben. Kinder brauchen Erwachsene, die an sie glauben (oder auch ein Stofftier namens Hasi), Materialien, mit denen sie handelnd lernen und ein Umfeld voller Vertrauen. Eltern, Lehrkräfte und Therapeuten bilden ein gemeinsames Lernnetzwerk, das Sicherheit gibt.
Wenn Mathematik nicht als Last, sondern als Entdeckungsreise erlebt wird, wachsen Motivation und Selbstvertrauen. So erfahren Kinder: Ich kann rechnen lernen – auf meine Weise, in meinem Tempo, mit Freude!
Stellenwertkarten
Steckwürfel Gruppen-Set
Große Wendeplättchen, Klassen-Set
Lesestoff:
• Caroline von St. Ange – Alles ist schwer, bevor es leicht ist
Dieses Buch betont die Bedeutung von Motivation, Vertrauen und einer positiven Haltung beim Lernen. Es unterstützt die Sichtweise, dass der Weg des Lernens genauso wichtig ist wie das Ergebnis. Die Autorin kombiniert verschiedene Ansätze und Lernmethoden, um Kindern wieder Freude am Lernen zu vermitteln.
• Michael Gaidoschik – Rechenschwäche – Dyskalkulie
Gaidoschik zeigt auf, wie hinter den scheinbar gedankenlosen Fehlern rechenschwacher Kinder ein in sich durchaus schlüssiges kindliches Denken steckt. Er betont die Bedeutung, dieses Denken zu verstehen, um Kinder erfolgreich beim Umgang mit Mathematik zu unterstützen.
• Manfred Spitzer – Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens
Spitzer erläutert, wie das Gehirn lernt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Er betont die Bedeutung von Wiederholung, Motivation und einer positiven Lernumgebung für nachhaltiges Lernen.
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© Andrea Hasler
Andrea Hasler ist ausgebildete Ergotherapeutin mit Fokus auf die motorische sowie kognitive Förderung von Kindern. Zudem ist sie qualifizierte Lerntherapeutin für Legasthenie und Dyskalkulie. Ihre über 25-jährige pädagogische Erfahrung stärkt sie bei ihrer Arbeit mit Kindern.
Durch Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten verhilft Andrea Hasler Kindern praxisbezogen zu selbstbestimmtem, handlungsorientiertem Lernen. Dabei ist ihr Motto »Lass uns Mathe greifbarer machen« gleichzeitig Ansporn für Kinder und eine stabile, vertrauensvolle Basis, auf der es Spaß macht, Rechnen zu lernen.
Hier finden Sie Andrea Haslers »Lerntherapie & Lernförderung AHa!« und unter @mathe.mit.frau.hasler auf Instagram.